Figure 1: Die Orange
verkauft
tl;dr Alles Wissenswerte im Überblick
- Baujahr 2012, erste Hand
- optimiert auf agiles Fahrverhalten und Tourentauglichkeit für langbeinige Fahrer
- alle Wartungen beim Harley-Spezialisten
- TÜV neu
- Reifen neu
- Bremsklötze neu
- letzte Wartung vor 300 Kilometern
- 47.000 Kilometer Langstrecke
- Originalteile gibt’s dazu
Am Anfang Dennis Hopper und Don Johnson
In den nächsten Jahren habe ich vor, neue Wege zu befahren. Schotterstraßen. Waldwege. Viel davon mit Sozia. Daher wechsle ich das Motorradgenre und trenne mich von meinem geliebten Cruiser, mit dem ich in den letzten sieben Jahren große Teile von Europa befahren habe. Die geteerten Teile von Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich, Kroatien, Slowenien, Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark.
2012 habe ich mir einen Traum erfüllt, den ich seit meinen Teenagerjahren hatte: eine Harley-Davidson. Ich habe ein Poster von „Harley Davidson und der Marlboro-Mann“ an der Wand hängen und zwischen Steppenwolf und Easy Rider gehört ein Big Twin aus Milwaukee. Dazu kommen meine langen Beine. Sehr wenige Motorräder passen mir. Die Fat Bob saß von Anfang an wie angegossen, und mit ein paar Modifikationen konnte ich auch Etappen von 600 Kilometern am Tag bequem abreißen.
Ich bin damals zum Harleyhändler marschiert mit dem Gedanken „Ich hole mir jetzt eine Harley in Schwarz“. Dort angekommen stellte ich fest, die sind ja alle schwarz – laaangweilig. 2012 kamen die Bobs mit ABS auf den Markt, und das wollte ich aus Sicherheitsgründen haben, also musste es eine neue sein. Neben drei Schwarztönen gab es in dem Modelljahr noch ein laaangweiliges Blau. Und Harley-Davidson Racing Orange. Die musste es sein. Eine Woche später war sie da und hat mich angefunkelt.
Weniger geil fand ich einige Dinge, die man an serienmäßigen Fat Bobs einfach nicht so lassen kann. Allen voran die Holzreifen. Die Dunlops sehen vielleicht cool aus, aber sobald es kühl wird oder feucht, verlieren sie die Bodenhaftung.
Aktuell sind nagelneue Bridgestone Exedra Max montiert, die exzellenten Grip auch bei Kälte und Nässe liefern und viel handlicher zu fahren sind als die originalen.
Modifikation 1: bessere Reifen
Figure 2: Bridgestone Exedra Max
Figure 3: hinten neu
Figure 4: vorne neu
Zähmung des Biests
So schön die Orange optisch daherkam, merkte ich schnell, dass es an vielen Stellen Raum für Verbesserungen gab. Der Motor wirkte seltsam zugeschnürt, der Klang war alles andere als Captain America, die Federung zu weich und unverbindlich, Schräglagenfreiheit so lala, enge Spitzkehren komplex zu fahren mit dem breiten Dragbar-Lenker, Schulterverspannung nach langen Etappen, keine Packmöglichkeiten, schlechtes Abblendlicht und ein Schlusslicht, das sich bei Regen mit Wasser füllt.
Mit den Modifikationen, die ich unten beschreibe – viele davon bereits die zweite Iteration –, bin ich sicher, dass meine Fat Bob für einen langbeinigen Fahrer die am besten fahrbare und kurvenfreudigste ist, die es gibt. Lange Strecken, Passstraßen und optisch ganz klassischer Cruiser, das wollte ich, und das ist sie.
Luftfilter
Der Luftfilter wurde ersetzt durch einen Thunderbike Drilled Bicolor mit K&N-Einsatz. Endlich durchatmen!
Modifikation 2: mehr Luft
Figure 5: Fat Bob
Auspuff
Ja, die Auspuff-Frage. Penzl oder Kess-Tech? Remus oder Eagle? Nach Monaten und zahllosen Preis- und Qualitätsvergleichen sowie Probehören auf Harley-Events wollte ich eine Entscheidung. Und die musste im schwäbischen Bad Urach fallen, wo Eberhard Schwarz und sein Team von AMC-Tech seit den Siebzigerjahren Auspuffanlagen für Harleys bauen, die Händler nicht gerne anbieten, weil sie weniger Marge bekommen als bei allen anderen Herstellern. Ich musste zum Hersteller, um mir selber ein Bild zu machen.
Eberhard Schwarz selbst beriet mich und öffnete seine Garage, in der jedes aktuelle Harley-Modell stand, denn jede Auspuffanlage ist speziell für ein bestimmtes Modell abgestimmt. Er startete die Fat Bob, und ich dachte mir wieder mal „Geil!“. Dann drehte er am Soundversteller und ich bekam eine Gänsehaut. Bester Sound ever, und ohne dabei schmerzhaft laut zu sein. Weil ich ein netter Kerl bin, bekam ich auch einen Rundgang durch seine Werkstatt. An der Wand hängen die Patente, die Schwarz über die Jahre für seine Schalldämpfer erworben hat. AMC-Anlagen sind die einzigen, die eine Leistungssteigerung bewirken. Die Anlagen werden komplett in Baden-Württemberg aus nahtlos gezogenem Rohr von Thyssen-Krupp produziert und dort auch showverchromt. Das kostet in Form der AMC HD2 über 1800 Euro und ist jeden davon wert. Das ist nicht nur der hochwertigste Auspuff für die Fat Bob, sondern m. E. mit Abstand auch der schönste. Und wenn man nicht Krach, sondern echten Harley-Sound will, muss es eh der sein.
Modifikation 3: Abgasoptimierung
Figure 6: AMC HD-2
Figure 7: E-Prüfzeichen
Abstimmung
Neuer Luftfilter, neuer Auspuff, dazu braucht der Motor auch eine passende Abstimmung. Und diese wurde am Prüfstand optimiert auf guten Durchzug bei niedrigen Drehzahlen, wie man es auf kurvigen Landstraßen und Pässen haben will. Dazu gehört ein PowerVision, mit dem man nicht nur alle aktuellen Parameter aus dem Steuergerät auslesen kann, sondern selbst simpel eine andere Abstimmung aufspielen. Seitdem läuft die Fat Bob auch bei kaltem Wetter und kaltem Motor immer einwandfrei, zieht aus allen Drehzahlen und in allen Gängen sauber hoch und braucht auf Landstraßen zwischen 5 und 6 Litern – ein Wort bei 1584 Kubik und 350 Kilo Leergewicht. Gemessene 100 Newtonmeter stehen zwischen 1700 und 5250 Umdrehungen pro Minute zur Verfügung, mit einem Maximum von 121 zwischen 2900 und 3400 am Hinterrad.
Modifkation 3: Abstimmung
Figure 8: Tacho mit Kilometerstand
Licht
Serienmäßig leuchtet bei der Fat Bob eine einzelne traurige Funzel, das ist bei Nacht angsteinflößend schlecht. Nicht jedoch beim US-Modell. Daher ließen wir im Fat-Bob-Forum ein Kit anfertigen, das den Umbau auf US-Scheinwerfer erlaubt sowie einen Plug-and-Play-Rückbau aufs Original. Das Kit habe ich sauber eingelötet, und es sorgt seither für brauchbares Licht in allen Lebenslagen, vor allem mit den montierten Osram-High-Performance-Lampen.
Modifikation 4: Scheinwerfer
Figure 9: Scheinwerfer
Das serienmäßige Rücklicht ist ein Witz, es füllt sich mit Dreck und Wasser und sieht billig aus. Harleys Vorschlag dazu ist eine billig gemachte LED-Leuchte, die mehr als 300 Euro kosten sollte. Eine günstige Alternative war nach kurzer Zeit kaputt, so dass ich anfing, mir richtige Alternativen zu überlegen. Da mir das Doppellicht vorne immer gut gefallen hat, wollte ich das Theme hinten wieder aufnehmen, ohne aber am Bürzelfender etwas zu ändern, der gehört für mich zum Charakter der Fat Bob dazu. Nach langer Suche bestellte ich zwei runde gekapselte LED-Leuchten vom deutschen Hersteller Jokon, sehr hell und unzerstörbar. Für diese baute ich eine Aluminiumplatte, die in den angepassten originalen Licht- und Nummernschildhalter integriert ist. Auch hier kann problemlos wieder zurückgebaut werden, aber meine Lösung ist dem Original weit überlegen. Vor allem das Bremslicht ist weithin sichtbar, und das war mir wichtig, denn wenn von hinten etwas einschlägt, bin ich als Fahrer machtlos.
Modifikation 5: Rücklicht
Figure 10: Rücklicht
Figure 11: Bremslicht
Dazu habe ich „smoked“ Blinkerdeckel montiert. Die originalen Bullet-Blinker behielt ich bei, die gefallen mir und sind gut sichtbar.
Modifikation 6: Blinker
Figure 12: Fat Bob
Fahrwerk
Das originale Fahrwerk ist, seien wir ehrlich, Mist. Die Dämpfung ist zu weich, ständig schlägt man durch, und beim Bremsen taucht die Front ab als wolle sie ins Untergeschoß. Daher hat die Fat Bob vorne progressive Federn von Progressive und hinten progressive Feder/Dämpfer-Elemente von Oehlins montiert, letztere in 13 Zoll statt den originalen 12. Das bringt das Heck um ein Zoll höher und erhöht nicht nur die Schräglagenfreiheit erheblich, sondern führt auch zu einer insgesamt verbesserten Agilität durch den leicht geänderten Gabelwinkel. Leichteres Einlenken und bessere Kurvenfreude ohne Einbußen beim Geradeauslauf sind die Folge.
Modifikation 7: progressive Federn vorne und hinten
Gepäck
Zum Touren muss man Zeug mitnehmen. Daher hat die Fat Bob hinten einen Fehling-Gepäckträger mit Kofferhalter und Sissybar montiert. Diesen habe ich schwarz pulvern lassen, der Optik wegen. Leder-Satteltaschen sind mit dabei, und damit diese nicht den Fender bescheuern, ist er mit transparenter Kratzschutzfolie davor bewahrt. Sieht man nicht, beruhigt aber.
Für die großen Touren mit Sozia reicht der Platz aber auch nicht aus, weshalb ich noch einen anclipbaren Frontgepäckträger aus Edelstahl habe, der toll aussieht und eine große Gepäckrolle aufnehmen kann. Das gibt auch zusätzlichen Windschutz für die Langstrecke.
Modifikation 8: Gepäckträger vorne und hinten
Sitzkomfort
Ich bin 1,87 und die Länge steckt in den Beinen. Meine Freundin ist 1,63 und im Sitzen so groß wie ich … daher habe ich auf den meisten Motorrädern unmögliche Kniewinkel. Nicht aber auf der Fat Bob mit ihren vorverlegten Fußrasten. Damit sie mir noch etwas besser passt, habe ich den originalen Sattel modifizieren lassen. Die Fahrersitzfläche wurde ca. 2cm nach hinten verlängert. Die Sozia hat dahinter noch genug Platz. Bei der Gelegenheit ließ ich den Sattel und das Lehnenkissen der Sissybar mit schwarzem Leder beziehen und mit orangem Faden vernähen.
Modifikation 9: Echtledersattel für Langbeinige
Figure 14: Sattel
Figure 15: Sattel von oben
Für noch mehr Knieentlastung und auch aus Sicherheitsaspekten ist ein Chrom-Schutzbügel mit Highwaypegs montiert. Wenn es lang geradeaus geht, kann man die ausklappen und die Beine ausgestreckt darauf ablegen. Aaaaah. Und bei Umfallern ist das Mopped vor Schäden bewahrt. Ich bin glücklicherweise aber nie damit umgefallen, auch nicht als bei regennasser Fahrbahn auf der Autobahn eine Street Bob ohne ABS in mein Heck schlidderte. Da deren Ölwanne von meinem Kruppstahlauspuff geschreddert wurde und sie ihr Öl übers Hinterteil der Orange verteilte, war ich trotzdem nicht mehr fahrbereit. Das Motorrad wurde in der Werkstatt vom Sachverständigen komplett durchgecheckt und vermessen, und ich bekam neue Bremsbeläge (Öl), einen neuen AMC-Auspuff (so dass dieser Stand heute keine 10.000 Kilometer hinter sich hat) und sicherheitshalber ein ein neuen Hinterreifen und ein neues Schwingenlager. Das fand ich gut, die sind bei diesem Modell üblicherweise nach 60.000 Kilometern eh fällig. Bei der Orange muss man das erst bei sechsstelligem Kilometerstand langsam anschauen.
Modifikation 10: Crashbar, Highwaypegs
Figure 16: Crashbügel, Highway-Fußrasten
Dass meine Schultern lange Strecken nicht gut vertragen haben, liegt an der vielleicht cool aussehenden aber anstrengenden Sitzposition, in die einen der Dragbar-Lenker zwingt. Auch die Pullback-Riser, die ich zeitweise montiert hatte, lösen das Problem nur unzureichend. Außerdem sieht man in den Spiegeln so gut wie nichts. Abhilfe dafür schafft ein Kodlin-Apehanger, der nicht nur cooler aussieht als der Dragbar, sondern eine superbequeme Sitzposition ermöglicht. Dazu, und das hätte ich vorher nicht gedacht, ist die Fat Bob damit nochmal handlicher in kurvigem Geläuf. Passstraßen machen einen Heidenspaß. Der Ape ist gar nicht so hoch, wie er aussieht, die Hände sind selbst bei mir Sitzzwerg unterhalb Schulterhöhe, und das ist dauerhaft bequem. Durch die höhere Position der Spiegel sieht man jetzt endlich auch, was hinter einem vorgeht, und sie vibrieren bei Autobahntempo nicht wie in der originalen Position. Der Ape hat sehr spitze Winkel, daher sind die innen verlaufenden Kabel in einem Neoprenschlauch verlegt, um sie am Durchscheuern zu hindern.
Modifikation 11: Apehanger
Figure 17: Apehanger
Vermischtes
Die originale Hupe war mir zu lahm. Daher hat die Fat Bob eine Wolo Bad Boy Zweiklangfanfare (mit ABE), und weil die scheiße aussieht, ist ein Chromcover von Küryakyn drüber. Die Handgriffe sind die großen ergonomischen aus dem HD-Zubehör, passend für große Hände. Eine Zweifach-USB-Ladebuchse ist regengeschützt unter dem Tank verbaut. Die Schaltstange ist custom mit meinem Nick drauf, die werde ich wohl wieder durch die originale ersetzen. Die Bremsbeläge sind von Lucas, viel besser als die von Harley-Davidson verbauten. Hinten ganz neu, vorne erst wenige Tausend.
Figure 18: Hupe
Aber sonst ist alles original!
Figure 19: Genuine Harley-Davidson
Preisvorstellung
Die Orange hat jetzt 47.000 Kilometer gelaufen. Klar gibt es Fat Bobs mit geringerer Laufleistung. Meine jedoch ist aus erster Hand, vom Automobilmechaniker kundig bedient, stets vorsichtig warmgefahren, und die Kilometer kommen von vielen Langstreckentouren. Ich bin nach den ersten beiden Inspektionen für jede Wartung 75 Kilometer zu Parts & Service nach Denklingen gefahren, weit und breit im größeren Umkreis von München der beste Harley-Schrauber, den ich kenne. Die Orange hat penibel jede Wartung bekommen und mich nie im Stich gelassen, ein durch und durch vollkommen zuverlässiges Fahrzeug. Außer der Reihe wurde der Spannungsregler getauscht (Rückruf von Harley-Davidson), der Leerlaufsteller war vor kurzem fällig, und der Handbremszylinder wurde überholt. Sonst war nichts und ist nichts. Die letzte Wartung wurde soeben gemacht, Öle sind damit gewechselt, die Reifen sind nagelneu und auch die Bremsbeläge hinten. Draufsetzen und losfahren mit einer kompletten, rundum auf Fahrbarkeit optimierten klassischen Harley ohne Wartungsstau. Dafür möchte ich 11.900 Euro haben. Alles Zubehör und die aufbewahrten Originalteile gibt es dazu. In dem Motorrad stecken 24.000 Euro.
Mittlerweile hat die Orange einen neuen Besitzer gefunden, und ich freue mich, dass sie in wirklich gute Hände kommt.